Wir leben in wahrlich bewegten Zeiten…

(Rede auf dem Chemnitzer Stadtparteitag am 12. November 2016)

Wir leben aktuell in wahrlich bewegten Zeiten: die politische Agenda wird derzeit in vielen Staaten der Welt von Rechtspopulisten bestimmt. Dazu müssen wir gar nicht bis in die USA schauen, wo ein Kandidat mit Hassparolen gegen alle Nichtweißen soeben die Präsidentenwahl gewonnen hat. Wir erleben es auch in Europa: Fides in Ungarn, UKIP in Großbritannien, der Front National in Frankreich, die FPÖ in Österreich, oder aber eben auch die AfD in Deutschland und insbesondere auch PEGIDA hier in Sachsen.

Warum ist das so? Globalisierung, verbunden mit der neoliberalen Politik der letzten Jahre, die auf Deregulierung, auf Privatisierung und auf allgemeine Verschärfung des Wettbewerbs setzte, sollte – so die These ihrer Befürworter – zu einem Wirtschaftsaufschwung führen, sollte den Wohlstand mehren.

Das ist passiert – zumindest für eine Oberschicht. Gleichzeitig jedoch haben immer mehr Menschen auch in den wohlhabenden Staaten des Nordens das Gefühl, bzw. sogar die Gewissheit, dass der Aufschwung an ihnen vorbei geht. Trotz Wirtschaftsaufschwung stagnieren die Löhne, trotz täglicher Arbeit nehmen soziale Unsicherheit und Zukunftssorgen nicht ab. Psychische und physische Überlastung der Arbeitenden und Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit der Arbeitslosen sind dabei zwei Seiten ein und derselben Medaille. Lobbyverbände und die herrschende Politik sind sich oftmals einig, wenn es darum geht die Alternativlosigkeit des aktuellen Weges zu betonen und die Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme als Fortschritt zu feiern, während die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander klafft.

Gleichzeitig wachsen durch Kriege, hinter denen oftmals Verteilungskämpfe stecken oder über erzwungene Freihandelsabkommen zu Gunsten der großen internationale Konzerne die in vielen Staaten der Dritten Welt die lokale Wirtschaft haben kollabieren lassen, die Flüchtlingsbewegungen weltweit an. Nur ein kleiner Teil dieser Menschen kommt tatsächlich in Europa an. Dennoch wird dieser kleine Teil von Vielen als solche Bedrohung empfunden, dass Populisten mit Hetzparolen gegen Flüchtlinge erfolgreich auf Stimmenfang gehen. Erinnert sei nur an die Forderung nach einem Schießbefehl auf Flüchtlingskinder, wie ihn AfD-Vertreter offen fordern und dafür in Teilen der Öffentlichkeit Applaus bekommen.

Wie kann nun den Rechtspopulisten Einhalt geboten werden? Zunächst müssen wir den Versuchungen wiederstehen uns ihrer einfachen Parolen zu bedienen. Wir müssen vielmehr für Sachlichkeit und Vernunft in der öffentlichen Auseinandersetzung kämpfen. Es ist eben kein Skandal, wenn der anerkannte Flüchtling Sozialleitungen bekommt. Es ist ebenso kein Skandal, wenn der Hartz-IV-Empfänger fast so viel bekommt wie der Geringverdiener. Nein, die Skandale liegen wo anders.

Ein Skandal ist es, dass Menschen die jeden Tag auf Arbeit gehen trotz Mindestlohn nicht genug verdienen um eine sichere Rente zu bekommen, ein Skandal ist es das in diesem reichen Land überhaupt Menschen mit Hartz-IV abgespeist werden und ein Skandal ist es, dass die globalen Zustände den Flüchtling gezwungen haben seine Heimat zu verlassen. Und es ist ebenso ein Skandal, wenn sie dann hier von einer Horde pöbelnder sogenannter besorgter Bürger empfangen werden.

Genossinnen und Genossen, machen wir hier nicht mit. Stellen wir uns dagegen wenn nach unten getreten wird und wenn die Ärmsten die Sündenböcke für die Armen sind. Nein, einzig und allein das herrschende neoliberale System trägt Schuld an der Entwicklung!

Im staatlichen Handeln findet der Neoliberalismus seinen Ausdruck nicht nur in Deregulierung und Zerschlagung der Sozialsysteme, sondern auch im Dogma der schwarzen Null in der Haushaltspolitik. Da brauchen wir nur auf unseren eigenen Freistaat, auf Sachsen zu schauen, um zu erleben was das für Auswirkungen hat.

Ein Lehrermangel der so groß ist, dass schon Schüler, die sich für gewöhnlich erstmal freuen wenn sie mal Ausfall haben, vor den Landtag ziehen und für mehr Unterricht protestieren. Da ist eine öffentliche Verwaltung die in fast allen Bereichen personell so unterbesetzt ist, dass sie ihre Aufgaben nur mit Mühe erfüllen kann – egal ob Justiz, Arbeitsschutzverwaltung oder sonstiges. Da ist eine Polizei die wegen Personalmangel für den Bürger nur noch selten Ansprechpartner ist, sondern oft erst im Ernstfall kommt und selbst dann nicht selten zu spät. Ausputzen sollen das jetzt überall Seiteneinsteiger, Hilfslehrer oder im Schnellkurs ausgebildete Hilfspolizisten. Natürlich immer zu weniger Gehalt als ihre regulären Kollegen.

Das ein öffentlicher Dienst, der so arbeiten muss zwangsläufig an seine Grenzen stößt und jedes Mal völlig aus dem Tritt gerät wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, ist dann fast zwangsläufig. Die Aneinanderreihung von Fehlern und Falscheinschätzungen wie im Falle des mutmaßlichen Terroristen, der hier in Chemnitz verhaftet werden sollte, dann aber ungehindert entkam, trotz Fahndung problemlos nach Leipzig reisen, dort dann nur mit Hilfe syrischer Flüchtlinge festgesetzt wurde und sich letztlich in der Obhut des Staates erhängen konnte, ist eben kein Zufall, sondern hat auch mit dem jahrelangen Sparkurs der CDU zu tun.

Doch damit nicht genug. Die bundesweite Kritik am Zustand der sächsischen Staatsverwaltung wird von der CDU regelmäßig als Verleumdung und sachsenfeindliche Stimmungsmache zurückgewiesen. Denn in einem ist die CDU unerschütterlich: in ihrem Weltbild, das Sachsen das unfehlbare Vorbild für alle anderen sein müsste. Alles was da nicht passt wird geleugnet oder konsequent ausgeblendet. Da stört auch nicht, dass der Freistaat fast überall im bundesweiten Vergleich allenfalls unteres Mittelmaß ist. Außer in einem Feld, da ist Sachsen unangefochtene Spitze: das betrifft die Zahl der Nazidemos, Übergriffe auf Flüchtlinge und sonstiger rechter Gewalttaten.

Nun kann man zum Tag der Deutschen Einheit stehen wie man will. Aber das was sich dieses Jahr am 3. Oktober in Dresden abgespielt hat ist ein Skandal. Da bepöpeln und bespucken Pegida-Anhänger und sonstige Rechtsextreme dunkelheutige Gäste und stören mit rassistischen Rufen einen offiziellen Staatsakt der Bundesrepublik und die Polizei schaut nicht nur tatenlos zu, sondern drängt stattdessen diejenigen ab, die gegen die Rechten protestieren. So etwas gibt’s wahrscheinlich nur in Sachsen.

Nicht das es den Mob aus dumpfen Wutbürgern, besorgten Kleingeistern und gewaltbereiten Nazis nicht auch anderswo gäbe. Aber in der Summe ist es eben kein Zufall, dass NSU und Pegida ihre Wurzeln hier haben das die AfD zuerst im sächsischen Landtag Fuß fassen konnte und das immer wieder Sachsen im Zusammenhang mit rechter Gewalt in den Medien ist! Dazu bedarf es eines entsprechenden gesellschaftlichen Klimas aus Kleingeistigkeit, der Salonfähigkeit rechter Stammtischparolen bei gleichzeitiger Kriminalisierung von Antifaschisten und aus selbstgefälligem Sachsenstolz. An diesem Klima hat die sächsische CDU jahrelang „erfolgreich gearbeitet“!“

Liebe Genossinnen und Genossen, vor uns steht im nächsten Jahr eine wichtige Wahl. Wir haben heute morgen unseren Direktkandidaten für den Bundestag aufgestellt. Viele blicken auf die Bundestagswahl sicher mit – nun sagen wir etwas Anspannung. Ich erinnere an die vorangegangenen Landtagswahlen hier im Osten. An das schlechte Abschneiden in Sachsen-Anhalt, wo gleichzeitig die AfD aus dem Stand zweitstärkste Partei wurde, an die desaströse Niederlage in Mecklenburg, aber auch an das wirklich sehr gute Abschneiden in Berlin. Wobei auch das Berlin-Ergebnis einer genaueren Betrachtung bedarf.

Wir haben keineswegs hauptsächlich bei der letzten Wahl verlorene Wähler zurückgewonnen. Nein, während wir in unseren Ostberliner Hochburgen zum Teil weiter verloren haben, ist es uns in anderen Stadtteilen gelungen Bevölkerungsschichten zu gewinnen, die vorher nie die Linke gewählt haben. Viele davon sicher auch wegen unserer konsequenten Flüchtlingspolitik, aber vor allem auch, weil wir statt Standardparolen gut durchdachte und praktikable Alternativen aufgezeigt haben!

Die Frage ist, ob es uns zur Bundestagswahl gelingen wird, Menschen die in der Vergangenheit die Linke gewählt haben genauso zu überzeugen wie alternative großstädtische Milieus, die sich uns im letzten Jahr zugewandt haben. Einen Fehler sollten wir dabei nicht begehen. Ein reiner Protestwahlkampf, der nur gegen andere zielt wird uns dauerhaft genauso wenig bringen wie eine fortwährende Diskussion über Regierungsbeteiligungen. Obwohl ich weiß, das gerade letztere in unserer Partei mit ungeheurem Engagement geführt wird.

Nein, gehen wir mit einer eigenen Agenda in den Wahlkampf, ohne zu schauen was SPD oder Grüne dazu sagen würden! Formulieren wir konkrete Alternativen, formulieren wir Punkte über die wir mit anderen reden wollen, aber formulieren wir auch Grundsätze von denen wir nicht abrücken werden. Die Friedensfrage gehört für mich ebenso dazu, wie die Wiederherstellung der Renten- und Sozialsysteme. Da dürfen wir nicht wanken! Ich bin überzeugt, die Menschen die uns ihre Stimme geben machen dies weder dafür, dass wir schon im Vorfeld Koalitionsoptionen diskutieren, noch dafür das, wir Regierungsbeteiligungen von vornherein kategorisch ausschließen. Sie wählen uns in den allermeisten Fällen wegen unserer Inhalte und weil sie sich dadurch eine Verbesserung ihre Lage versprechen!

Das gilt überdies nicht nur zur Bundestagswahl, sondern auch in der Kommune vor Ort. Und ich bin mir sicher ihr gebt mir recht, wenn ich sage, dass die Zusammenarbeit mit SPD und Grünen sich lohnt. Wir haben es in zahlreichen Punkten geschafft Ziele unseres Wahlprogramms umzusetzen, den Haushalt maßgeblich mitzubestimmen und letztlich auch dafür zu sorgen, dass Chemnitz ein Stachel im schwarzen Sachsen der CDU ist und bleibt. Wir werden heute zur erfolgreichen Arbeit der Fraktion sicherlich noch Details von der Fraktionsvorsitzenden hören.

Auch der euch vorliegende Leitantrag beschäftigt sich maßgeblich mit unserer kommunalpolitischen Ausrichtung und unserer Vision, wie ein linkes, ein besseres Chemnitz aussehen kann und soll. Dazu werden wir im Laufe des Nachmittag sicher noch ausgiebig diskutieren. Aber ein Punkt sei schon vorweggenommen. Während wir in den zwei zurückliegenden Jahren im Rahmen des Zukunftsprozesses vor allem über unsere innere Struktur und unsere Arbeitsfähigkeit gesprochen haben, wollen wir uns im kommenden Jahr vor allem der Schärfung unseres inhaltlichen Profils und auch bereits der inhaltlichen Vorbereitung der Kommunalwahl in zweieinhalb Jahren widmen.

Aber lasst mich zunächst noch einmal auf die Strukturdebatten des letzten Jahres zurückkommen. Im Ergebnis dessen liegt euch heute ebenfalls ein Antrag vor. Ich sage es offen, dabei handelt es sich um das was möglich war, aber keineswegs um das, was wir uns erhofft haben. Daran ist auch die Tatsache schuld, dass es Teile des Stadtverbandes gab, die sich der Debatte über notwendige Veränderungen konsequent und bewusst entzogen haben. Leider waren es oftmals genau Mitglieder aus den Ortsverbänden in denen besonderer Handlungsbedarf besteht. Aber das alles ist letztlich kein Selbstzweck. Es geht um die Politik- und Kampagnenfähigkeit unseres Stadtverbandes.

Dazu gehört für mich auch die Hoffnung, dass die Vorkommnisse nach dem letzten Stadtparteitag ein einmaliges Ereignis wahren, als Genossinnen und Genossen aus Endtäuschung über den Ausgang der Vorstandswahlen und weil sie mit einzelnen inhaltlichen Beschlüssen nicht einverstanden waren, versucht haben diese mithilfe erst der Landes- und dann der Bundesschiedskommission rückgängig zu machen. Diese Anliegen wurden sämtlich von beiden Instanzen als unbegründet beziehungsweise satzungswidrig zurückgewiesen. Ich stelle mir nur die Frage, ob wir tatsächlich so miteinander umgehen wollen und uns statt inhaltlicher Debatte lieber mit Verfahrenstricks gegenseitig in die Parade fahren wollen. Ich hätte mir jedenfalls gewünscht, dass die betroffenen Genossinnen und Genossen auch ebenso viel Energie in die politische Arbeit nach außen, wie in parteiinterne Streitigkeiten investiert hätten. Wir können nach außen nur glaubhaft sein, wenn wir offen und solidarisch miteinander umgehen. Auch das hat mit der Zukunftsfähigkeit des Stadtverbandes zu tun.

Aber schauen wir gemeinsam nach vorn. Dazu gehört auch, dass wir in unseren Reihen 15 Neumitglieder begrüßen können. Einige von ihnen sind heute auch hier und ich denke wir alle freuen uns, mit euch im nächsten Jahr gemeinsam Wahlkampf machen zu können!

Liebe Genossinnen und Genossen, wir Linke haben Vorschläge, wie wir die Gesellschaft gerechter gestalten und das Leben der Menschen verbessern können. Wir richten uns an alle, die nicht glauben, dass der neoliberale Kapitalismus das Ende der Geschichte ist. Wir richten uns an alle die wollen, dass es friedlicher, solidarischer und konsequent antifaschistisch zugeht im Land. Gemeinsam werden wir im nächsten Jahr mit unserem Bundestagkandidaten um ein sehr gutes Ergebnis in Chemnitz kämpfen und so unseren Beitrag für ein gutes Abschneiden in Sachsen und im Bund zu leisten.

Gehen wir es an!

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