Zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge scheint die Europäische Union in einer Krise. Zumindest ist sie schwer unter Beschuss. Die aus deutscher Sicht scheinbar überwundene Finanz- und Eurokrise ist in den Staaten Südeuropas noch immer präsent, wo Massenarbeitslosigkeit und andauernde Kürzungen den Alltag bestimmen. Ein gemeinsamer Kurs in der Asylfrage ist in der EU ebenso wenig erkennbar wie eine gemeinsame Sozialpolitik. Ein linkes Europa scheint im Moment eine unrealistische Vision. Im Gegenteil: europaweit wird die politische Agenda derzeit von Rechtspopulisten bestimmt. Warum ist das so?
Globalisierung, verbunden mit der neoliberalen Politik der letzten Jahre, die auf Deregulierung, auf Privatisierung und auf allgemeine Verschärfung des Wettbewerbs setzte, führte wie versprochen europaweit zu mehr Wohlstand – allerdings nur für eine Oberschicht. Der Preis war eine wachsende Unsicherheit für die Mehrheit der Europäer ohne, dass sie von einem Aufschwung profitieren konnten. Auch in den wohlhabenden Staaten des Nordens ist dies für viele Gewissheit. Trotz Wirtschaftsaufschwung stagnieren die Löhne, trotz täglicher Arbeit nehmen soziale Probleme und Zukunftssorgen nicht ab. Psychische und physische Überlastung der Arbeitenden und Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit der Arbeitslosen sind dabei zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Lobbyverbände und die herrschende Politik sind sich oftmals einig, wenn es darum geht die Alternativlosigkeit des aktuellen Weges zu betonen und die Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme unter dem Deckmantel der Eigenverantwortung als Fortschritt zu feiern, während die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander klafft.
Hier setzen die Rechtspopulisten an. Dabei wird Kritik nicht am Kapitalismus als System formuliert, sondern am Verrat nationaler Souveränität. Soziale Probleme in den eigenen Staaten werden gegen angeblich „faule“ Arme in Südeuropa ins Feld geführt, die man nicht länger durchfüttern wolle. Die Lösung liege danach nicht in einer solidarischen Gemeinschaft, sondern im Rückzug auf das eigene Volk, dessen „nationale Interessen“ zuerst gesehen und gegen „die Anderen“ verteidigt werden müssten. Ob Fidesz in Ungarn, UKIP in Großbritannien, der Front National in Frankreich, die FPÖ in Österreich, die niederländische Partij voor de Vrijheid oder auch die AfD in Deutschland. Die Liste könnte beliebig fortgesetzt werden.
Wie erfolgreich eine nationalistische Argumentation ist, kann in Großbritannien beobachtet werden, wo sich eine knappe Mehrheit der Wähler im letzten Jahr für einen Austritt aus der EU entschieden hat. Den Kurs den sich die konservative britische Regierung dabei vorstellt setzt auf Standortvorteile gegenüber der restlichen EU durch Steuererleichterungen für Unternehmensgewinne, Deregulierung der Finanzbranche und individuelle Freihandelsverträge mit einzelnen Staaten, bei denen die britische Wirtschaft einseitige Vorteile bekommen soll. Die Besitzer großer Vermögen wird es freuen, die Situation der gesellschaftlich und sozial abgehängten in Großbritannien wird sich dadurch nicht verbessern.
Kritik an der aktuellen EU-Politik ist legitim. Auch die Linke hat die Europäische Union immer zu Recht als in weiten Teilen neoliberal und unsozial kritisiert. Dabei darf jedoch nicht verkannt werden: Schuld daran trägt nicht eine anonyme Macht in Brüssel, auch wenn das von nationalen Regierungen gern als Entschuldigung für die eigene Politik vorgetragen wird. Schuld daran tragen die europäischen Regierungen, die sich auf genau diesen Kurs miteinander verständigt haben und ihn weiter aufrecht halten wollen. Wer in einer Renationalisierung einen Weg zu einer solidarischen Politik sieht, der verkennt genau das.
Es gibt keinen nationalen Ausweg aus globalen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen – das einzige was durch diesen Kurs befeuert wird ist ein wachsender Nationalismus in Europa!
Die Linke hat eine andere Aufgabe: nicht der Rückzug in den Nationalstaat ist das Gebot der Stunde, sondern gegen die neoliberale EU und den grassierenden Rechtspopulismus einen dritten Pol zu bilden: konsequent solidarisch, radikal demokratisch, ökologisch, regional verankert und trotzdem friedlich und internationalistisch.