(Rede in der Landtagssitzung vom 07. November 2018)
Es ist schon bemerkenswert, dass Frau Petry die Antwort auf eine spontan gestellte Frage schon fertig formuliert ablesen konnte. Aber lassen wir das. Kommen wir zum eigentlichen Thema zurü ck. Es freut mich durchaus, dass die SPD inzwischen die 12 Euro Mindestlohn zumindest in den Medien für sich entdeckt hat. Das muss man schon ernsthaft sagen. Tragisch ist nur, dass sich gleichzeitig die Frage stellt: Ist das ein ernst gemeintes Angebot, oder ist es eher ein Teil des nach den Bayern- und Hessenwahlen ausgerufenen Projektes „linkes Profil schärfen“?
Der Bundesarbeitsminister Heil hat angekündigt, bis 2020 einen Vorschlag zu unterbreiten, wie unter Umgehung der bisherigen Regelungen der Mindestlohnkommission eben jener Mindestlohn auf 12 Euro angehoben werden kann. Nun weiß ich nicht, ob der SPD dämmert, dass Art und Weise, wie der Mindestlohn letztlich durch ihr maßgebliches Zutun eingeführt wurde, unter dem Strich doch nicht das Gelbe vom Ei ist, oder ob es sich nur um taktische Spielchen handelt. Denn Fakt ist eines: Erst in zwei Jahren damit „um die Fichte zu kommen“, hat wenig mit der vorgeschobenen geplanten Evaluierung der Arbeit der Mindestlohnkommission zu tun; denn das Ergebnis kennt man angeblich bereits. So sind es wohl doch eher Profilierungsversuche für die Bundestagswahlen, wenn uns nicht vorher vorgezogene Neuwahlen ereilen sollten. Aber im Kern ist das Vorhaben nichtsdestotrotz gut. Trotzdem bleiben Zweifel, und diese Zweifel sind berechtigt.
Genau das, was der Bundesarbeitsminister jetzt als Ziel verkündet hat, hat DIE LINKE vor ziemlich genau einem Jahr im Bundestag vorgeschlagen, und zwar, ohne noch zwei Jahre darauf zu warten. Die Antwort der SPD war Ablehnung, nicht aus Koalitionsdisziplin, was man vielleicht noch nachvollziehen könnte, nein, nach eigener Aussage aus tiefster Überzeugung, dass ein solcher Vorschlag reiner Populismus sei und mit der SPD definitiv nicht zu machen sei. Ach echt? Ein Jahr später gilt nun das Gegenteil. Warten wir ab, was nächstes Jahr gilt. Warten wir ab, was 2020 gilt. Wir werden sicherlich noch die eine oder andere Überraschung erleben.
Aber zurück nach Sachsen: Der SPD-Vorsitzende Dulig hat vor zwei Wochen in der „Leipziger Volkszeitung“ erklärt, dass auch er einen Mindestlohn von 12 Euro sozialpolitisch für gegeben hält. Darüber, meine Damen und Herren, habe ich mich gefreut. Allerdings habe ich dann den Artikel in der „LVZ“ weitergelesen und vom stellvertretenden Ministerpräsidenten Dulig im gleichen Interview erfahren, das sei eher eine Langfristperspektive, die der sächsischen Wirtschaft und den sächsischen Arbeitnehmern so auf die Schnelle nicht zuzumuten sei. Darüber haben sich sicher auch welche gefreut, aber bestimmt andere als die, die sich beim ersten Mal gefreut haben, wurde doch die Idee postwendend wieder abgeblasen – getreu dem Motto: Wir fänden es zwar gut, machen aber erst mal nichts.
Nun, Herr Staatsminister Dulig, haben Sie zwar heute passend zur Debatte über die Presse erklären lassen, dass Sie 2 000 Euro für geboten halten, aber auch hier haben Sie Ihren zeitlichen Horizont wieder ins Ungefähre geschoben, und Sie haben sich gleich noch in einer anderen Richtung herausgeflüchtet, indem Sie auf Tarifverträge abzielen. Nun bin ich ganz bei Ihnen, Tarifverträge sind gut, und ein tariflicher Lohn ist besser und höher als ein Mindestlohn, nehme ich einmal an, wenn es ein ordentlicher Tarifvertrag ist. Aber Sie kennen genauso gut wie ich die Realität. Sie wissen, wie sich die Tarifbindung entwickelt. Sie wissen, dass viele Menschen in Sachsen eben nicht von Tarifverträgen profitieren. Was machen Sie mit denen?
Die zweite Frage, die sich mir stellt: Was ist denn Ihre längerfristige Perspektive? Wenn Sie zehn bis zwölf Jahre warten, sind wir bei der jetzigen Regelung von ganz allein bei 12 Euro. Das nützt dann nur den Betroffenen nichts; denn die Inflation hat bis dahin den Großteil dessen, was sie bekommen, aufgefressen, und die Probleme existieren nicht in der Zukunft. Sie, meine Damen und Herren, existieren bereits heute. Eine Familie mit zwei Kindern, wo beide Eltern Vollzeit im Mindestlohn arbeiten, ist eben nur knapp über Hartz IV. Das heißt, das ist eine Familie, bei der die Altersarmut vorprogrammiert ist. Sie kann eben nicht privat Vorsorgen und was noch viel schlimmer ist, sie kann so manches Angebot, um die Chancen der Kinder zu erhöhen, nicht nutzen.
Das, meine Damen und Herren, sind keine Einzelfälle. Trotz erfreulich guter Konjunktur hier im Freistaat bekommen 16 % der Beschäftigten Mindestlohn. Trotz Gerede vom Fachkräftemangel – im Niedriglohnbereich gibt es keine Lohndynamik jenseits der Vorgaben des Mindestlohns, und damit ist der Freistaat trauriger Spitzenreiter. Da, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wird es dann zynisch. Die Staatsregierung feiert wirtschaftliche Erfolge, nimmt jedoch taten- und interessenlos hin, dass die Früchte dieses Erfolges an einem Teil der Menschen, die ihn täglich erarbeiten, spurlos vorbeigehen. Vielen Dank.